Strecke machen
Ein Tag Pause in Dunkerque und schon segeln wir weiter. Obwohl, eine Pause ist es eigentlich nicht. Ingo beschäftigt sich mit der Reparatur unseres AIS-UKW-Funk-Splitters. AIS und UKW teilen sich eine Antenne und da ist anscheinend etwas im Argen. Ingo findet eine Lösung – die beiden werden getrennt und jeder erhält eine eigene Antenne. Ganz optimal ist die Lösung noch nicht, da die Reichweite der Antennen von der Installationshöhe abhängig ist. Es wird uns noch beschäftigen, da wir nicht zwei Funkantennen auf der Mastspitze haben wollen.
Weiterhin ist schwacher Nordostwind vorhergesagt. Vorherrschende Windrichtung ist hier eigentlich Westwind. Daher nutzen wir die schon seit unserer Abreise aus Ijmuiden nordöstlichen Winde, um Richtung Westen zu segeln/voranzukommen.
Nachdem wir die Gezeiten anhand von Gezeitentafeln und Strömungstabellen ausgerechnet haben, legen wir am Mittwoch, 21.07.21, um 8.00 Uhr in Dunkerque ab und passieren um 15.30 Uhr das Cap Gris Nez. Es liegt zwischen Calais und Boulogne sur Mer. Von hier aus wird der gesamte Schiffsverkehr auf dem Ärmelkanal von der französischen Seite überwacht. Der Wind lässt leider zu wünschen übrig, so dass wir mit Motor fahren. Erst gegen 16.30 Uhr können wir das Großsegel und den Gennaker, unser buntes Leichtwindsegel, setzen und lassen den Motor langsam mitlaufen. Immerhin lacht die Sonne vom Himmel. Um 19.20 Uhr schalten wir den Motor aus und segeln! Herrliches Gennakersegeln durch die mondhelle Nacht. Wenig Seegang, wir kommen gut voran. Leider lässt der Wind immer mehr nach, so dass der Motor ab 0.30 Uhr am 22.07.21 wieder aushelfen muss und der Gennaker eingerollt wird. So fahren wir durch den fast windstillen Ärmelkanal und um 18.00 Uhr erreichen wir nach 182 Seemeilen Cherbourg. Ankommen, aufklaren, ausschlafen und am nächsten Tag machen wir einen Stadtrundgang.
Am Sonnabend, 24.07.21, legen wir bereits um 12.00 Uhr in Cherbourg wieder ab. Die weiterhin vorhergesagten Winde locken uns hinaus und weiter Richtung Westen. Wir hatten die Gezeiten berücksichtigt und tatsächlich schieben uns sagenhafte sechs Knoten in die richtige Richtung. Gegen 15.00 Uhr können wir den Motor ausschalten und mit der ausgerollten Genua segeln. Um 17.00 Uhr haben wir Guernsey querab, dunkle Wolken ziehen auf, es fängt an zu regnen und der Wind nimmt auf fünf Beaufort zu. Rauschefahrt in eine wieder mondhelle Nacht. Gerne hätten wir Guernsey einen Besuch abgestattet. Wegen der umfangreichen Corona-Auflagen der Kanal-Inseln haben wir uns aber dagegen entschieden.
Doch diese Nachtfahrt hat ihre Tücken. Beim Wachwechsel am Sonntagmorgen, 25.07.21, um 4.00 Uhr macht Ingo mich auf einen holländischen Fischkutter aufmerksam, dessen AIS-Signal einige Meilen voraus an Steuerbord zu sehen ist. Wir sind ausweichpflichtig, ich behalte das Signal im Auge und halte etwa eine Meile Abstand. Läuft soweit alles glatt, er dreht seine Kreise und läuft schließlich mit sechs Knoten nach Steuerbord ab. Doch zu früh gefreut, er dreht, kommt zurück und fährt schließlich direkt auf uns zu. Das macht mir Angst, ich wecke Ingo. Wir ändern schnell unseren Kurs um 20 °und weichen aus. Hell erleuchtet mit weit ausgestellten Geschirr rauscht er in einiger Entfernung an unserem Heck vorbei. Wir haben bei Gesprächen mit anderen Seglern erfahren, dass mindestens zwei Boote auch genau mit diesem Fischkutter so ein Erlebnis hatten. Erst scheint alles klar zu gehen und plötzlich eine Kursänderung durch den Kutter genau auf die Segler zu. Unheimlich.
Der Wind hat durchgehalten und bis etwa 6.00 Uhr können wir prima segeln. Dann kommt der leichte Wind fast von vorne, ich rolle die Genua ein und starte den Motor. Eine viertel Stunde später ist zwar die Sonne eigentlich aufgegangen, aber dicker Nebel hüllt uns plötzlich ein. Wieder wecke ich Ingo, der aber nicht wirklich geschlafen hat. Wir schalten das automatische Nebelhorn ein, das alle 60 Sekunden einen Ton von sich gibt. Wir schauen abwechselnd auf den Plotter nach AIS-Signalen anderer Boote und Schiffe, versuchen Radarechos auszumachen und starren in den Nebel. Nur keine Angelboote, Fischerbojen o. ä. übersehen! Es geht alles gut und am 25.07.21, 7.45 Uhr, legen wir immer noch im Nebel in Roscoff an. Alles aufklaren und dann erstmal eine ordentliche Mütze Schlaf. Das war innerhalb einer Woche die dritte Nachtfahrt.
Am Nachmittag unternehmen wir einen Spaziergang und gehen in den hübschen Ort. Viele Menschen sind unterwegs und genießen die Sonne und einen schönen Tag am Meer.
Als wir abends die Wettervorhersage für die nächsten Tage anschauen, wird uns klar, dass wir schon am nächsten Tag weitersegeln müssen, wenn wir nicht für mindestens eine Woche hier bleiben wollen. Denn morgen ist zwar Westwind und damit Gegenwind angesagt, aber nur schwach. Der soll in den nächsten Tagen deutlich zunehmen und dann ist an ein Weiterkommen nicht zu denken. Also beschließen wir, schon am Montag, 26.07.21, weiter zu segeln, und zwar nach Camaret sur Mer. Ein Törn von ca. 66 Meilen, also werden wir etwa 12 Stunden unterwegs sein.
Erbarmungslos klingelt am nächsten Morgen um 6.00 Uhr der Wecker. Ich hätte ihn so gerne ignoriert, aber nützt ja nichts. Nach dem Frühstück legen wir um 7.30 Uhr ab und werden erneut vom Nebel überrascht. Also wieder besondere Vorsicht und Nebelhorn einschalten. Der Nebel hält sich hartnäckig bis 11.00 Uhr. Über uns blauer Himmel, voraus dicke Nebelsuppe. Um 14.00 Uhr runden wir den Leuchtturm Le Four und haben damit den Ärmelkanal verlassen. Wir segeln jetzt an der französischen Atlantikküste. Seegang ist überhaupt nicht vorhanden, Wind leider auch nicht. In Laufe des Tages erwischt uns dann noch eine heftige Gegenströmung. Nun schiebt der Tidenstrom nicht mit sechs Knoten, sondern bremst uns gnadenlos aus. Laut Logge machen wir 6,5 Knoten Fahrt durch das Wasser aber zeitweise nur 0,8 Knoten über Grund! Etwa zwei Stunden schleichen wir dahin wie eine Schnecke. Dann biegen wir ab Richtung Camaret sur Mer und die Strömung ist wieder mit uns. Die letzten Meilen können wir segeln und die Maschine endlich ausschalten. In Camaret haben wir großes Glück und ergattern in der Marina Le Notik eine Box. An der Hafenpromenade spielt gerade eine richtig gute Band „Highway to hell“ – na, so schlimm wird es schon nicht werden.
Um wieder startklar zu sein, haben wir heute gleich die Lebensmittel- und Dieselvorräte ergänzt. Supermarkt und Tankstelle sind noch an Ort und Stelle. Hier in Camaret haben wir schon 2014 auf das richtige Wetter für die Biskayaüberquerung gewartet und uns sehr wohl gefühlt. Ein wunderbarer bretonischer Ort mit einer Menge Flair. Irgendwie authentisch, nichts Gekünsteltes. Ein Sehnsuchtsort, ein Meilenstein auf unserer Reise.
Nette Begegnungen gab es obendrein und bei einem Kaffee in netter Runde in einer Brasserie am Hafen gab es einen tollen Austausch mit anderen Langfahrtseglern. Das Leben kann so schön sein.