Auf Lanzarote angekommen
„Nur ein geduldiger Skipper hat immer guten Wind.“ Mit der Geduld ist das ja so eine Sache. Und diesmal wurde sie auf eine harte Probe gestellt. Es wollte sich einfach kein gutes Wetterfenster für unseren Törn zu den Kanaren auftun. Für die etwa 600 Seemeilen lange Strecke muss der Wind schon in vertretbarer Stärke aus der richtigen Richtung kommen.
Und dann war da noch die Sache mit den „verspielten“ Orcas! Seit 2020 kommt es an der spanischen und portugiesischen Küste immer wieder zu Begegnungen von Segelyachten mit Orcas, bei denen die Wale sich für die Ruder der Yachten „interessieren“. Die Vorfälle, bei denen Orcas die Ruder von Segelbooten einfach abgebissen oder abgeknickt haben, häuften sich. Die Tiere sind nicht aggressiv und es ist bislang noch rätselhaft, warum sie sich seit einiger Zeit so verhalten. Mehrere Boote wurden in Sines in den Hafen geschleppt, denen Teile des Ruders oder das ganze Ruder „abhanden gekommen“ waren. Einige Betroffene kennen wir persönlich.
Die Vorfälle waren natürlich Tagesgespräch am Steg. Ratlosigkeit machte sich breit, aber es gab auch kreative Vorschläge. Die Palette reichte von „bei Sichtung der Orcas am Heck ein mit Diesel getränktes Handtuch hinter dem Boot herziehen“ bis „bei Orca-Besuch den Fäkalientank auspumpen“. Überzeugt hat mich das alles nicht.
Anfang der Woche zeichnete sich ab, dass es am Mittwoch, 15.09.21, losgehen könnte. Wind aus nördlichen Richtungen, der mit 5 bis 6 Beaufort wehen und am Ende abnehmen sollte, war vorhergesagt, die Wellenhöhe sollte gut zwei Meter betragen. Als die Cesarina und wir schließlich den Hafen verließen und die Segel setzten, schaute ich bei jedem Plätschern (also fast ständig) zu unserem Heck, ob irgendwo die markante Rückenflosse eines Orcas auszumachen ist. Es hatte etwas von Russisch Roulette – kommen die Orcas oder bleiben wir verschont? Reiner Zufall. Die allermeisten Vorfälle haben sich in Küstennähe ereignet und so war ich sehr erleichtert, als wir nach etwa 30 Seemeilen den offenen Atlantik erreicht hatten. Noch nie waren wir mit so einem mulmigen Gefühl zu einem Törn aufgebrochen.
Zunächst hatten wir das volle Großsegel gesetzt und die Genua ganz ausgerollt. Später wurde beides gerefft und zur Nacht bei vier bis fünf Beaufort aus nördlichen Richtungen, also achterlichem Wind, das Großsegel geborgen. Nur unter Genua ging es also in die mondhelle Nacht. Der Sternenhimmel war phantastisch! Nur an wenigen Orten ohne jegliche Lichtquellen und ohne optische Umweltverschmutzung können die Milchstraße und die Sterne so klar und deutlich gesehen werden. Das Meeresleuchten hat die Gischt und die sich laut an unserem Heck brechenden Wellen gespenstisch erhellt. Was für eine Atmosphäre und wir mit der Amazone mittendrin. Während Ingos Nachtwache hat sich ein Fliegender Fisch an Deck verirrt. Er hatte Glück und wurde wieder in sein Element entlassen.
Am nächsten Tag (Donnerstag, 16.09.21) hat der Wind auf gute fünf Beaufort zugenommen und Ingo hat die gereffte Genua ausgebaumt. Was für ein Balanceakt mit dem schweren Genuabaum auf dem tanzenden Vorschiff zu hantieren und alles richtig einzustellen! Wir haben zwei Genuabäume, durch deren Endstücke lassen wir die Schoten laufen. So können wir die Segelfläche relativ leicht variieren und je nach Windrichtungsänderung die Genua auf die passende Seite holen.
Der Seegang war immer noch konfus und etwa zwei bis drei Meter hoch. Von regelmäßiger, langgezogener Atlantikdünung konnte keine Rede sein. In den Schränken klapperte alles, sogar die Besteckschublade stimmte in das Konzert mit ein. In der Pantry habe ich schließlich sogar einen Schrank ausgeräumt, alles in eine große Tasche verstaut und diese in der Hundekoje fest verkeilt. Die Leesegel wurden an den Kojen angebracht. Diese Stoffbahnen werden gespannt, damit man nicht aus der Koje rollt.
Ich hatte vorgekocht, so dass mir wenigstens diese Akrobatik größtenteils erspart blieb. Zum Glück werden wir nicht seekrank, so dass das Essen geschmeckt hat. Trotzdem war uns etwas kodderig, die Seebeine wachsen eben langsam und die Bordroutine ist immer erst am dritten Tag da. Durch die Nachtwachen und weil wir in den Freiwachen wegen der Schaukelei so gut wie keinen Schlaf finden konnten, waren wir ziemlich müde. Kurzum, das Leben war beschwerlich und ich fragte mich, was das alles eigentlich soll.
Am Freitag, 17.09.21 und Sonnabend, 18.09.21, wurde der Seegang allmählich etwas einheitlicher. Der immer noch aus nördlichen Richtungen wehende Wind blies mit fünf Beaufort, in Böen sechs. Wir segelten weiterhin mit ausgebaumtem Vorsegel und die Amazone fuhr die Wellen brav hoch und wieder herunter, manchmal wurde sie in die Seite geknufft und auch mal geboxt. Das hat sie aber nicht weiter interessiert – sie hat durchgezogen.
Am Freitag hatten wir zum letzten Mal Funkkontakt zur Cesarina, die einige Seemeilen vor uns segelte und am Horizont nicht mehr auszumachen war. In dieser schier endlos erscheinenden Weite, war es gut zu wissen, dass jemand in „Hörweite“ ist. Wobei diese „Ruf- und Hörweite“ unsererseits etwas eingeschränkt ist, weil wir im Masttopp ja die Antenne für das AIS fahren (Reichweite ca. 21 Seemeilen) und Ingo die Not-Antenne für das Funkgerät seit dem Ausfall des Antennensplitters vor einigen Wochen am Geräteträger montiert hat (Reichweite ca. fünf bis sechs Seemeilen).
Am Sonntag, 19.09.21, nahm der Wind am Nachmittag langsam ab und um 15.30 Uhr erblickte ich erstmals Land! Lanzarote an Steuerbord! Die letzten Meilen flogen so dahin und um 21.30 Uhr erreichten wir bei Dunkelheit den Hafen von Arrecife. In der Marina wurden wir bereits von den Crews der Cesarina und der Excalibur (Kerstin und Alan aus Camaret – so sieht man sich wieder!) erwartet. Was für ein schöner Empfang! Wir alle waren froh, glücklich und auch ein bisschen stolz, die 600 Seemeilen in vier Tagen so gut geschafft zu haben. Alle Ruder noch dran, alle gesund und munter!
An allen vier Tagen hat die Amazone Etmale (von 12 Uhr bis zum nächsten Tag 12 Uhr zurückgelegte Strecke) von 137 Seemeilen erreicht Das hat sie sehr gut gemacht. Gesteuert hat die ganze Zeit unsere Pacific Windpilot Windsteueranlage. Das hat perfekt geklappt, es waren nur selten kleine Kurskorrekturen vorzunehmen.
Die Amazone lag in der Marina dann so friedlich und still in ihrer Box, dass es kaum zu glauben war. Schaukelei vorbei, nichts klapperte mehr, das Leben wurde wieder einfach. Am nächsten Tag bekamen wir dann einen anderen Liegeplatz zugewiesen. Leider sind in der Marina in Arrecife derzeit keine Plätze für kleinere Boote frei. Daher wurden wir zwischen die großen, 16 Meter langen, Boote einsortiert. Das Liegegeld wird nach drei Tagen dann auch für ein 16-Meter-Boot berechnet. Allerdings gibt es 10 % Rabatt für Trans Ocean-Mitglieder. Abgerechnet wird zum Schluss, mal sehen, was fällig wird.
Inzwischen ist die Amazone von innen und außen geputzt, die Wäsche ist gewaschen und frische Lebensmittel haben wir eingekauft. Von der Marina aus ist es ein Fußmarsch von etwa zehn Minuten bis zur Stadt. Auch die Gasflasche konnten wir in der Marina füllen lassen. Jan Schäper ist der Manager der „Lava Charter Basis“ und führt auch einen kleinen, aber gut sortierten Laden für Yachtausrüstung. Dort konnten wir die Gasflasche abgeben und am nächsten Tag gefüllt wieder abholen.
Apropos Lava – auf der Kanareninsel La Palma ist am 19.09.21 erstmals seit 50 Jahren ein Vulkan ausgebrochen. Mal abwarten, wie dieses Ereignis unsere Reisepläne noch beeinflussen wird. Corona, Orcas und jetzt noch ein Vulkanausbruch – irgendwas ist ja immer.